Von der Gründerzeit bis heute
In der Gründerzeit wurde die damals noch selbständige Gemeinde Leutzsch stark industrialisiert. Wesentlicher Motor war der Bau der Zeitzer Eisenbahn im Jahr 1873. Auf beiden Seiten der Strecke entstanden ab den 1880er Jahren ausgedehnte Industrieanlagen, eine parallele Achse bildete die neuangelegte Eisenbahnstraße. Schwerpunkte waren die Fabrikation von Maschinen und Metallwaren (Metallwarenfabrik Dietzold, Druckmaschinenfabrik Kleim & Ungerer, Schraubenfabrik Teichert u.a.m.) sowie von Musikinstrumenten (Pianofortefabrik Julius Blüthner, Pianoforte-Mechanik-Fabrik Flemming).
1911 zog die Deutsche Holzbearbeitungsmaschinenfabrik Jacobi & Eichhorn aus dem benachbarten Leipzig-Lindenau in einen eigens für sie errichteten Komplex aus Verwaltungsgebäude und Produktionshalle an der Eisenbahnstraße 25. Diese wurde in Franz-Flemming-Straße umbenannt, als Leutzsch 1922 nach Leipzig eingemeindet wurde.
In der Weltwirtschaftskrise ab 1929 musste eine Reihe von Betrieben aufgeben und die Fabrikgebäude wechselten Besitzer und Produktion. Auch die Firma von Otto Jacobi geriet in starke wirtschaftliche Schwierigkeiten und konnte 1935 von ehemals ca. 100 Arbeitern nur noch „13 gewerbliche Personen u. eine Kontoristin“ beschäftigen. Gleichzeitig wurden die Räume im Verwaltungsgebäude nach und nach illegal in Wohnungen umgewandelt. Im Zweiten Weltkrieg schwenkten die meisten Betriebe auf Rüstungsproduktion um und setzten häufig Zwangsarbeiter und -arbeiterinnen ein. Diese mussten überwiegend in eigenen kleinen Lagern auf den Geländen leben, so auch bei Jacobi und Eichhorn und den beiden Nachbarwerken.
Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus 1945 wurden in der Franz-Flemming-Straße wie überall in der sowjetischen Besatzungszone eine Reihe von Industrieanlagen abgebaut und in die UdSSR gebracht. Otto Jacobi betrieb nur noch eine kleine Schlosserei, in der Halle arbeiteten außerdem u.a. eine andere Maschinenfabrik und ein Röntgeninstitut. 1957 wurde das Fabrikgelände vom DDR-Ministerium der Sächsischen Glasgespinstfabrik Schulze & Co. zugewiesen. Diese wurde wie die meisten Werke in der DDR wenig später enteignet, zum Volkseigenen Betrieb (VEB) Glasgespinst Leipzig umgewandelt und dem Flachglaskombinat mit Sitz in Torgau zugeordnet. In den späten 1960er Jahren entstand eine neue Lagerhalle und es gab kleinere Umbauten.
Nach der Wende 1989 und der Wiedervereinigung mussten fast alle großen Leipziger Betriebe schließen. Hier versuchte man mit dem „Sächsischen Glaszentrum“ (SGZ) einen Neuanfang mit Isoliersystemen für Rohrleitungen sowie Dämmschalen, der jedoch bald scheiterte. Die Fabrik stand seit Mitte der 1990er leer, fiel dem Vandalismus und Brandstiftungen zum Opfer.
Roman Grabolle